Zwischen Taktik und Tabu: Homosexualität im Profifußball
Noch immer gilt Homosexualität im Profifußball als Tabuthema. Doch wieso? Spieler, Ex-Profis und Initiativen zeigen, warum und wie sich das ändern kann.

Obwohl Homosexualität in vielen Bereichen der Gesellschaft zunehmend akzeptiert wird, bleibt sie im Männer-Profifußball ein Tabuthema. Bislang gibt es nur eine Handvoll (Ex-)Spieler in den weltweiten und europäischen Ligen, die sich öffentlich zu ihrer Homosexualität bekannt haben. Doch woran liegt das? Fußballfieber geht dem Thema auf den Grund.
Triggerwarnung: In diesem Artikel werden Suizid, homophobe Diskriminierung und andere sensible Inhalte thematisiert. Bitte lies nur, wenn du dich emotional dafür bereit fühlst.

Justin Fashanu: Der Pionier im Profifußball
Der Fußballer Justinus Soni Fashanu sorgte 1990 für einen Meilenstein in der Geschichte des Fußballs: Die Boulevardzeitung The Sun veröffentlichte ein Foto von ihm mit der Überschrift: „Eine Million Pfund teurer Fußballstar: ‚Ich bin schwul!‘“ Damit wurde Fashanu zum ersten Profifußballer, der sich öffentlich als homosexuell outete. Später erklärte er: „Ich dachte, wenn ich mich in der schlimmsten Zeitung oute und dann standhaft bleibe, gäbe es nichts mehr, was man noch über mich sagen könnte.“ Dennoch hatte er es danach nicht leichter: Justin wurde wegen seiner Hautfarbe und sexuellen Orientierung diskriminiert. Besonders bei Nottingham Forest war seine Zeit hart, denn der Trainer Brian Clough beschimpfte ihn vor der Mannschaft als „verdammte Schw***“. Verzweifelt versuchte er, seine Homosexualität durch den Beitritt zu einer christlichen Sekte zu unterdrücken. Die andauernde Zerrissenheit führte schließlich zu seinem tragischen Suizid 1998 im Alter von nur 37 Jahren. Sein ehemaliger Trainer bereute seine Worte später: „Ich war für ihn verantwortlich, denn er fiel in meinen Zuständigkeitsbereich als Trainer, aber ich habe ihm nicht geholfen.“ 2020 wurde Fashanu in die English Football Hall of Fame aufgenommen.

Von Urban bis Hitzlsperger: Die Fußballer haben sich geoutet
Jahre später bekannte sich der ehemalige Junioren-Nationalspieler Marcus Urban zu seiner Homosexualität. Im Jahr 2007 stand er kurz vor der Bundesliga, als er sich outete – für den heute 54-Jährigen „eine Befreiung“. Seine Karriere beendete er aber wegen des hohen Drucks frühzeitig. Seit 2014 setzt er sich im Verein „Diversero“ für mehr Vielfalt im Sport und in der Gesellschaft ein. Auch Thomas Hitzlsperger sorgte mit seinem Coming-Out 2014 für Schlagzeilen, dennoch folgten danach nur eine Handvoll Spieler: Oliver Egger, der erste offen schwule österreichische Fußballer (2016), der US-Amerikaner Collin Martin (2018), der Australier Josh Cavallo (2021), der damals erst 17-jährige Jake Daniels (2022), der Schotte Zander Murray (2022) und der tschechische Nationalspieler Jakub Jankto (2023).
„Ich bin Fußballer und ich bin schwul“: Josh Cavallo spricht über seine Erfahrungen
2021 veröffentlichte der Australier Josh Cavallo ein Video, in dem er seinen Fans erklärte: „Ich bin Fußballer und ich bin schwul.“ Mit seinem Outing wollte er anderen Mut machen, ebenfalls offen zu ihrer Homosexualität zu stehen. Im März 2025 sagt er rückblickend im Podcast „Footballers Unfiltered with Joe Hart“: „Ich hätte niemals gedacht, dass der Tag kommen würde, an dem ich der Welt während meiner aktiven Zeit im Fußball sage, wer ich bin. Ich ging immer davon aus, dass das etwas ist, womit ich mich erst nach meiner Karriere beschäftigen würde, oder dass ich einfach mit dem Fußball aufhöre, um ganz ich selbst sein zu können.“ Trotz der positiven Resonanz steht Cavallo weiterhin vor großen Herausforderungen: „In der Welt des Fußballs ist es sehr toxisch, ein offen schwuler Spieler zu sein. Das ist etwas, womit nicht jeder umgehen und was er durchmachen kann. Ich denke leider, dass wir noch sehr, sehr weit davon entfernt sind, in diesem Bereich Akzeptanz zu finden.“
Josh Cavallo: „Ich bekomme immer noch täglich unzählige Morddrohungen“
Seit dem Outing stehe nicht mehr seine Leistung auf dem Platz im Vordergrund: „Wenn ich das Spielfeld betrete, mich verletze oder beim Fußball etwas passiert, hat das alles mit meiner Sexualität zu tun.“ Besonders traurig ist aber, dass er noch immer angefeindet wird: „Ich bekomme immer noch täglich unzählige Morddrohungen“ Deshalb erklärt er auch: „Es ist schwer, den Leuten zu sagen: ‚Auf jeden Fall, outet euch, seid ihr selbst.‘ Aber es bringt auch eine Menge Nachteile mit sich, die den Leuten meiner Meinung nach nicht bewusst sind.“ Dennoch kann Cavallo inzwischen offen leben und muss sich nicht mehr verstecken. Seit 2024 ist er mit seinem Partner Leighton Morrell verlobt. Er resümiert inzwischen: „Ich bin frei. Ich gehe ins Bett, lege meinen Kopf auf das Kissen und bin glücklich, dass ich Josh Cavallo bin. Ich bin der Fußballer. Ich bin auch der schwule Fußballer und ich bin super stolz, das sagen zu können, denn ich wusste nie, welche Möglichkeiten und welche Reichweite das Posten eines solchen Videos haben würde.“

„Spieler haben klargemacht, dass sie sich nicht mit einem schwulen Mannschaftskollegen umziehen würden“: Thomas Hitzlsperger blickt auf Outing zurück
Im Januar 2014 offenbart Thomas Hitzlsperger in einem Interview mit der Zeit seine Homosexualität. 2024 resümiert er gegenüber Deutschlandfunk: „In den Jahren zuvor gab es immer wieder Kommentierungen rund um dieses Thema und vieles daran hat mich gestört, weil es immer ganz banal hieß: Die Fans sind das Problem“, erzählt er. Der 43-Jährige habe jedoch andere Situationen erlebt, etwa die Atmosphäre in manchen Kabinen: „Ich habe erlebt, dass Spieler teilweise schon klargemacht haben, dass sie sich nicht mit einem schwulen Mannschaftskollegen umziehen würden, dass sie nicht mit dem spielen würden.“ Damals habe er geschwiegen, weil er „total unsicher war. Meine Stimme hätte so gezittert, ich hätte mich quasi zwangsgeoutet.“ Und so habe er sich erst nach dem Ende seiner aktiven Karriere zu sich selbst bekannt. Inzwischen zieht er eine positive Bilanz: „Die Ängste waren vorher viel größer. Wenn es mal ausgesprochen ist, ist es gar nicht so schlimm. Die Welt ist gar nicht so böse, wie ich mir das vielleicht in den Jahren zuvor ausgemalt habe.“ Dazu gehöre auch, dass er in Deutschland durch das Gesetz geschützt sei.
Trotzdem bleibt Hitzlsperger einer der wenigen Profifußballer, der offen homosexuell lebt. Dass selbst ehemalige Spieler sich nicht outen, sei kein reines Problem des Fußballs: „Wenn Leute sich nach der Karriere nicht trauen, darüber öffentlich zu sprechen, dann zeigt mir das, dass es ein gesellschaftliches Thema ist, dass eine gewisse Angst vorherrscht, anders zu sein und nicht dazuzugehören.“

„Es gibt schwule Paare in der Bundesliga“: Ex-Profi Marcus Urban spricht offen über Homosexualität in der Branche
In dem Buch „Mensch Fußballstar“ von Andreas Böni berichtet Marcus Urban von seinen Erfahrungen: „Ja, ich war der erste schwule Fußballer in Deutschland, der sich damals geoutet hat. Man dachte beim Outing von Thomas Hitzlsperger, dass es ein Wendepunkt sein könnte. War es aber nicht so richtig.“ Auch nach der Karriere habe sich kaum jemand geoutet. Urban betont: „Es gibt gar keinen Grund mehr, sich zu verstecken.“ Das Ziel müsse sein, dass auch hier „jeder sagen kann: Das hier ist mein Partner. Das ist unser Kind.“
Die Realität sieht allerdings anders aus. Manche haben inzwischen sogar eigene geheime Netzwerke gebildet: „Viele schwule Fußballer haben sich in der Zwischenzeit im Hintergrund organisiert. In Gruppen zwischen 20 und 40 Leuten. Es ist aber nur die Spitze des Eisbergs. Viele sind einsame Wölfe, machen ihr eigenes Ding und von vielen wissen wir noch gar nicht.“ Er betont: „Es gibt auch schwule Paare in der Bundesliga, und zwar sehr nette, sehr hübsche. Und vielleicht kommt irgendwann der Tag, an dem sie sich outen.“

Deswegen scheiterte das Gruppen-Coming-out 2024
Mit der Kampagne „Sports Free“ wollte man homosexuellen Fußballern das Coming-out erleichtern. Am 17. Mai 2024 rief Urban dazu auf, dass sich weitere Spieler öffentlich bekennen. Daraus wurde jedoch nichts: Zwar gingen Dirk Elbrächter von der TSG Hoffenheim und Schiedsrichter Luca Schiliró an die Öffentlichkeit, doch der erhoffte große Effekt blieb aus. „Ich war auf alles gefasst. Aber es wäre gelogen, wenn ich sage, dass ich nicht enttäuscht war“, sagt Urban 2025 im Interview mit Watson. Er erklärt, dass die Vorrecherche gezeigt habe, dass einige Spieler schon vor Jahren mit dem Gedanken gespielt hätten, sich zu outen. „Wie viele es sind und dass teilweise Weltstars und Amateurspieler in Kontakt stehen, wussten wir gar nicht“, so der Ex-Profi. Dass die Aktion schließlich scheiterte, liege aber nicht an der Organisation: „Wir haben Spielern, Trainern, Schiedsrichtern eine Tür gezeigt, aber hindurchgehen müssen sie schon selbst.“

Wieso outen sich immer noch so wenige Fußballer öffentlich?
Der 54-Jährige betont, dass Homosexualität im Frauenfußball inzwischen kaum noch ein Problem sei, im Männerfußball jedoch nach wie vor ein Tabuthema darstelle. Das liegt laut Urban vor allem an „einem gewissen Team- oder vielleicht sogar Corpsgeist“, denn „Männer haben in dem Bereich vielleicht gelernt, dass sie heterosexuell sein müssen, sie dürfen auch hart und dominant sein, aber bloß nicht schwul“, wie er dem ZDF im Interview verrät. „Es ist aber wichtig, klarzumachen, dass die sexuelle Orientierung kein Parameter für Leistungsfähigkeit ist“, so Urban. Aber es gibt noch andere Hürden: „Da es wenige queere Vorbilder im Profisport gab, denken die meisten, es würde ganz schlimm werden. Ist die Realität eventuell doch besser als die negativen Gedanken?“, erklärt er. Doch er gibt nicht auf und betont, dass die Idee des Gruppen-Coming-outs dazu diene, Mut zu fassen, damit nicht nur eine einzelne Person im Fokus stehe, da das Thema für eine kurze Zeit viel Aufmerksamkeit erzeugt.
Dazu kommt, dass viele Fußballer seiner Meinung nach von einem Outing abgehalten werden: „Es gibt in ihrem Umfeld noch zu viele Menschen, die ihnen davon abraten würden. Medienanwälte, Berater, Familie – Leute, die in ihrem Geld und ihrem Ruhm baden und falsch verstandene Pseudo-Fürsorge sowie eigen Ängste projizierend auf die Spieler übertragen.“ Es wäre aber auch „zu einfach“, allein das Umfeld verantwortlich zu machen: „Am Ende muss die Person selbst entscheiden, inwieweit sie frei und selbstbestimmt leben möchte oder nicht. Es betrifft auch junge Spieler im Alter von 19 oder 20 Jahren nochmal ganz anders“, sagt er gegenüber Watson.

„Die Spieler bekommen Angst bis Panik“: So reagieren homosexuelle Fußballer auf den öffentlichen Diskurs
Mit Watson spricht Marcus Urban auch über die Reaktionen auf seine Öffentlichkeitsarbeit: „Die Spieler bekommen Angst bis Panik, wenn solche Berichte von jemandem wie mir kommen – denn sie wissen, dass ich sie kenne. Das wird auch sehr schnell an mich herangetragen“, erklärt er. In der Regel sind es nicht die Spieler selbst, die sich an ihn wenden, sondern Personen aus ihrem Umfeld: „Die meisten trauen sich nicht, mich zu kontaktieren.“ Die Sorge ist zwar nachvollziehbar, sei jedoch unbegründet: „Ich bemühe mich, die Spieler und alle Beteiligten zu beruhigen, dass nichts Besonderes passiert ist. Seit 17 Jahren schweige ich über die Namen und es gibt keine Hinweise von mir. Da muss ich natürlich aufpassen.“ Er möchte durch seine Arbeit mehr Bewusstsein schaffen: „Wenn darüber nicht gesprochen wird, wird aus etwas Normalem etwas Anrüchiges.“

Die „Doppelmoral“ im Profifußball
Viele Vereine setzen sich inzwischen offen gegen Rassismus und Homophobie ein. Im Stadion steckt die Regenbogenflagge an den Eckfahnen; im Block wird sie gehisst. Doch unter anderem Fälle in der Kurve zeigen, dass der Fußball noch immer mit Homophobie zu kämpfen hat. Fangesänge, wie beim Derby-Sieg von Rapid Wien gegen Austria Wien im Jahr 2024 verdeutlichen das Problem. Hier sangen die Kicker und der Co-Trainer von Rapid gemeinsam mit den Fans lautstark: „Wir sind keine oaschwoamen Veilchen“. Übersetzt: Wir sind keine schwulen Austrianer. Die Liga hatte daraufhin Ermittlungen eingeleitet.
Es verdeutlicht für Hitzlsperger, „dass ‚schwul‘ oft in Verbindung mit negativem erwähnt wird, das ist so ein Automatismus, die Leute denken nicht darüber nach. Aber es zeigt erfreulicherweise auch die Erkenntnis beim ein oder anderen, auch von Verbandsseite: Das wollen wir sanktionieren.“ Und doch herrsche im der Fußballwelt eine gewisse „Doppelmoral“, wenn Spieler sich trotz der positiven Haltung ihres Vereins gegenüber der LGBTQ-Szene homophob äußern, wie der 43-Jährige findet: „Da kommen Vereine immer wieder in Erklärungsnot, wenn sie feststellen: Der Spieler ist aber so wichtig, wir können den nicht rausschmeißen. Dann findet man eine Erklärung, warum das schon zusammenpasst. Das ist halt Fußball.“

Nach „One Love“-Debatte: Lässt sich Vielfalt und Fußball von der Mannschaft miteinander verbinden?
Die Diskussion um die Kapitänsbinde bei der WM 2022 in Katar verdeutlicht, wie kompliziert die Verbindung von Fußball und Werten sein kann. Damals wurde der DFB-Elf untersagt, die „One Love“-Binde gegen Rassismus, Homophobie und Diskriminierung zu tragen. Die FIFA erlaubte nur eigene Binden und drohte mit Strafen, worauf die Verbände zurückzogen. Als Protest hielten sich die deutschen Spieler vor dem Eröffnungsspiel die Hände vor den Mund – ein Zeichen, dass ihnen die Stimme genommen wurde. Damals hatte sich auch Hitzlsperger positioniert: „Die Überzeugung habe ich heute auch noch, aber ich habe gemerkt, dass wir von der Mannschaft nicht verlangen können, Symbole und Werte nach außen zu tragen, wenn sie sich nicht darüber im Klaren ist und nicht einig ist“, so der Ex-Profi. „Jeder einzelne Spieler muss für sich ein Thema finden, hinter dem er steht. Aber von einer Mannschaft können wir so etwas nicht mehr verlangen, weil es beim Thema Vielfalt einfach keine Einigkeit gibt“, ergänzt er.

Fazit und Ausblick
Trotz mutiger Schritte, wie dem Coming-out von Spielern wie Josh Cavallo oder Thomas Hitzlsperger, bleibt Homosexualität im Männerprofifußball nach wie vor ein sensibles Thema. Die Angst vor Diskriminierung, Ausgrenzung und möglichen Karriereeinbußen hält viele Profis davon ab, sich öffentlich zu ihrer sexuellen Orientierung zu bekennen. Hinzu kommt der Druck traditioneller Männlichkeitsbilder, der Homosexualität oft tabuisiert und negativ konnotiert. Hoffnungsvoll stimmen Initiativen und Kampagnen, etwa die Arbeit von Marcus Urban, sowie die Unterstützung durch einzelne Vereine, die ein langsam wachsendes Umfeld der Akzeptanz schaffen. Bis jedoch auch außerhalb des Spielfelds gesellschaftlich die Rahmenbedingungen und das Klima für Offenheit gegeben sind, bleibt der Weg zu einem vollständig inklusiven Fußball lang.